Reverse Engineering von leistungsstarken Rennsportteilen mit Artec Eva
Wenn er mit dem Fuß aufs Gaspedal tritt und sein Auto in 4,4 Sekunden von 0-60 auf 0-60 donnert, hat Sergey Karyakin keine Zeit für Zweifel. Sein Team SNAG Racing tritt bei Geländerennen durch die Wüsten Marokkos, Chiles und Perus, durch die Berge Boliviens sowie über die weiten Steppen Russlands und der Mongolei an. Ihre maßgeschneiderten Autos erleben brutale Bedingungen in allen Höhen und Temperaturbereichen.
Einer der maßgeschneiderten Rennwagen von SNAG Racing bei der Rallye du Maroc 2019, Marokko
Ihr letztes Rennen war die Rallye du Maroc im Oktober 2019, ein 5-tägiges Rennen, bei dem sie 2.506 Kilometer zurücklegen und die Ziellinie in einem Stück überqueren mussten. Leichter gesagt als getan: Die Rallye führte sie durch felsige Wüsten, über gigantische Sanddünen und unnachgiebige Salinen, entlang von Berghängen, mit toten Winkeln nur wenige Schritte voraus. Am Ende holte sich SNAG Racing die Silbermedaille in ihrer Kategorie – und das ist nicht ihr erster Erfolg. Weit gefehlt.
SNAG Racing holt sich bei der Rallye du Maroc die Silbermedaille (Anton Vlasiuk links, Sergey Karyakin rechts)
SNAG Racing fährt nicht mit kommerziellen Rennwagen. Vielmehr beginnen sie mit einem 172 PS starken Can-Am Maverick X3 RS Turbo R und bauen ein neues Fahrwerk, das den Rennbedingungen der FIA (Fédération Internationale de l'Automobile) entspricht. Aber damit nicht genug, denn als professionelles Rennteam mit seriösen Sponsoren wollen sie noch viel mehr.
Schon früh in seiner Karriere verstand Sergey, dass der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage in einem Rennen weit mehr als nur von Glück abhängt. Ein großer Teil der Gleichung ist das Auto selbst. Oder in Sergeys Worten: „Wenn die Fahrer alle auf höchstem Niveau sind, können dir selbst kleine Leistungssteigerungen die goldenen Sekunden geben, die du brauchst, um dich zuerst über die Ziellinie zu bringen.“
Split-Screen-Ansicht von Sergey Karyakin und Beifahrer Anton Vlasiuk bei der Rallye du Maroc 2019
Um ihre Leistung auf die nächste Stufe zu heben, begann das Team, neue Komponenten für sein Autos zu entwickeln – um das Gewicht zu reduzieren, die Festigkeit zu erhöhen, die Manövrierfähigkeit zu erhöhen usw. Die ersten Schritte des Konstruktionsprozesses bestanden bisher darin, zunächst aus Papier ein Modell zu konstruieren, woraufhin man auf Blech überging, alles verschweißte und dann mit dem mehrstufigen Fertigungsprozess begann. Es war nicht ungewöhnlich, dass es zwei Monate oder länger dauerte, um nur ein einfaches Teil für die Installation vorzubereiteten. Aber bei einem überfüllten Zeitplan, der oft nur wenige Wochen vor einem weiteren Rennen in einem anderen Land ließ, war diese alte Art der Teilefertigung nicht mehr praktikabel.
Damals entdeckte Sergey 3D-Scannen und additive Fertigung. Zunächst wurde er von Artec-Vertragshändler Cybercom Ltd. mit dem professionellen tragbaren 3D-Scanner Artec Eva vertraut gemacht. Eva ist ein leichter 3D-Scanner, der weltweit in Bereichen wie Reverse Engineering, Fertigung, Gesundheitswesen und anderen eingesetzt wird. Cybercom ist Spezialist für 3D-Scannen und-Drucken und bietet eine breite Palette von Lösungen für jede relevante Anwendung.
Cybercom zeigte Sergey und seinem Team, wie die Kombination aus Artec Eva und der Scanning- und Nachbearbeitungs-Software Artec Studio Produktionszeiten und -kosten reduzieren und es gleichzeitig ermöglichen, ihre eigenen Teile zu entwerfen und zu erstellen.
In der Werkstatt: Scannen mit Artec Eva
In den folgenden Tagen und Wochen richteten Sergey und sein Team den 3D-Scan- und Design-Ablauf ein, wie sie ihn bis heute nutzen. Laut Sergey läuft es in etwa so ab: „Zuerst bereiten wir ein Teil zum Scannen vor – und das kann alles sein von A-Bögen, Befestigungspunkten, Stoßstangen, Verbindungen, Achsen, anderen Aufhängungs- und Rahmenteilen, etc. Wir reinigen alles, um die Oberfläche für beste Ergebnisse vorzubereiten, befestigen das Teil, drücken dann drücken die Scan-Taste und machen den Scan. Dabei bewegen wir den Scanner um das Objekt herum und beobachten auf dem Laptop-Bildschirm, wie der 3D-Scan zum Leben erwacht. Um ehrlich zu sein, ist es kinderleicht!“
Durch die digitale 3D-Erfassung der Geometrien und Montagepunkte der Originalteile in Submilliter-Präzision ermöglichte Artec Eva SNAG Racing, eine ganze Reihe von Teilen nachzuentwickeln, um sie leichter, stärker und langlebiger zu machen. Dies ermöglicht am Ende schnellere, robustere Autos, die genau den harten Bedingungen entsprechen, denen die Fahrzeuge bei jedem Rennen unzählige Male ausgesetzt sind. Manchmal sind die Entwürfe äußerst radikal, und nur die Befestigungspunkte bleiben unverändert. Aber in anderen Fällen werden die Änderungen eher subtil und bestehen hauptsächlich auf die Umstellung auf neue, leistungsfähigere Materialien.
Artec Eva beim Scannen eines SNAG-Rennwagens
Mittlwerweile hat Jeder im Team hat die markanten Unterschiede in der Produktionskapazität und die kürzeren Durchlaufzeiten bemerkt. „Im Wesentlichen kann einer von uns bis zu Mittagspause ein halbes Dutzend Teile scannen, einschließlich der Nachbearbeitung in Artec Studio, und die 3D-Modelle bis zum Nachmittag in CAD exportieren lassen.“, sagt Sergey. Er fügt noch hinzu: „Manchmal erledigen wir unsere CAD-Arbeit in AutoCAD, manchmal in der CAD-Software Bosch Rexroth oder einem anderen CAD-System, je nachdem, an welchen Teilen wir arbeiten.“
Artec Studio Software zeigt eine laufenden 3D-Scan an
Heute dauert die Arbeit maximal drei Wochen von Anfang bis Ende, eingeschlossen die kundenspezifische Konstruktion und Herstellung neuer Teile – und das umfasst alles vom ersten 3D-Scannen bis hin zur CAD-Konstruktion, CNC-Fräsen oder 3D-Drucken in verschiedenen Kunststoffen, Metallen, Kohlenstoff, Kevlar usw. Eines der besten Dinge, die 3D-Scanning und additive Fertigung für SNAG Racing geleistet haben, ist, dass sie eine ganze Reihe neuer Möglichkeiten eröffnen.
Vorbereitung einer leichten Instrumententafel nach 3D-Scannen und 3D-Drucken
"Ich kann sagen, dass dies die Zukunft des Klein-Team-Rennsports sein wird. Und es ist nicht einmal Fortbildung erforderlich: Ich bin Rennfahrer, kein Konstrukteur, aber auch ich kann das alles machen – und unsere Techniker sowieso. Mit Artec können wir neue Ideen in so kurzer Zeit entwerfen und umsetzen, ohne uns auf Teilelieferanten verlassen zu müssen, die definitiv nicht die Flexibilität und das Know-how haben, um die Art von Teilen herzustellen, die wir jetzt herstellen, genau so, wie wir sie brauchen, wann wir sie brauchen", sagte Sergey.
Installation eines spezialangefertigten Armaturenbretts
Sergey weiter: „Artec erlaubt es uns, unsere kreativen Grenzen weiter zu verschieben, als ich es mir je vorstellen konnte. Sicher, es ist ein Rallyeauto, das auf einem kommerziell erhältlichen Fundament gebaut wurde, aber von dort aus hat uns das 3D-Scannen die Tür geöffnet, so dass wir unsere Autos genau so bauen können, wie wir es uns erträumt haben, und das innerhalb kurzer Zeiträume und ohne das Budget zu sprengen.“
„Als ich das erste Mal 3D-Scannen und 3D-Drucken ausprobierte, sagten einige Leute, es sei gefährlich, diese Arbeit selbst zu machen. Aber ich habe nicht auf sie gehört. Auf sie zu hören, würde bedeuten, sich hintenan zu stellen. Und ich will der Erste sein. Für mich geht es beim 3D-Scannen darum: die Innovationskraft direkt hier in unsere Hände zu bringen, wo wir das schaffen können und wissen, wie es am besten funktioniert. Und nicht zu warten und zu hoffen, dass jemand für uns das macht, was wir gerade brauchen.“
Sergey bringt sein Auto bei der Rallye du Maroc 2019 bis an die Grenzen
Zweifel an der Langlebigkeit der selbsterstellten Teile sind ebenfalls längst verflogen. Dabei gab es ernsthafte Bedenken in dieser Richtung, vor allem am Anfang. Aber Zeit und Erfahrung gaben dem Team Recht gegeben.
Wie Sergey erklärt: „Unsere Version der Qualitätskontrolle geht so: Weil wir alle Experten im Rennsport sind, gehen wir nach jeder Etappe eines Rennens direkt ans Auto und überprüfen die selbstgebauten Teile aus nächster Nähe, damit wir wissen, welche Art von Verschleiß – falls vorhanden – sie durchlaufen. Neue Entwürfe erhalten noch viel mehr Kontrolle, so dass uns wirklich nichts entgeht. Wir experimentieren ständig mit neuen Materialien und Designs, und wir führen beständig detaillierte Notizen über alles.“
Sergey rast auf die Silbermedaille bei der Rallye du Maroc 2019 zu
Und laut Sergey werden sie damit erst einmal auch nicht aufhören, denn nach den Ergebnissen, die sie in Rennen auf beiden Seiten der Welt erzielen konnten, wollen sie nun die Dinge in Bezug auf ihre Hochleistungs-Modifikationen auf die nächste Stufe heben: „Wir konzentrieren uns jetzt mehr darauf, verschiedene Verbundwerkstoffe mit Metallen zu verschmelzen, um das Beste aus beiden Materialien herauszuholen: im Wesentlichen Flexibilität und ultraleichtes Gewicht verbunden mit maximaler Festigkeit. Bisher waren die Ergebnisse sehr ermutigend.“